Günter Walter ... ging bereits im Studium seinen eigenen Weg und entwickelte seine künstlerische Eigenständigkeit durch eine gewisse – gesunde – Distanz zu seinem Professor und der daraus resultierenden, für einen Künstler, wie bereits erwähnt, wesentlichen Emanzipation.
Die beherrschenden Materialien des in Freiburg lebenden Künstlers klingen zunächst so puristisch wie unspektakulär; es handelt sich um Papier, Blei- und Farbstifte. Ein Spektrum aus über 200 Farbstiften, um genau zu sein, die in Walters Atelier ordentlich nach Farbigkeit sortiert und auf Lichtechtheit überprüft in Gläsern aufgereiht bereit stehen und auf ihren Einsatz zu warten scheinen. Und, um diesbezüglich ebenso genau zu sein, spielt darüber hinaus nicht einfach nur eine Handvoll beliebiger Bleistifte – die ja eigentlich längst kein Blei mehr, sondern Graphit enthalten – eine Rolle, sondern eine Bandbreite an unterschiedlichen Härtegraden, die dem Künstler von zarten, feinen und hellen 6H-Linien, bis zu 8B-weichen, dunklen, die Papierkörnung aufnehmenden Strichen scheinbar unzählige Möglichkeiten bieten.
Man muss bereits äußerst präzise vorgehen, wenn man sich Günter Walters künstlerischem Konzept annähern will – und bereits ganz zu Beginn seines komplexen Arbeitsprozesses ansetzen. Präzision ist per se eines der zentralen Themen Walters; konzeptuell, handwerklich und analytisch – ja, sogar mathematisch. Mathematik und Bildende Kunst, mag man sich nun fragen, kann diese Liaison wirklich gut gehen? Günter Walters Arbeiten überzeugen uns davon, dass beide Komponenten nicht nur eine stabile, glückliche Verbindung eingehen, sondern auch deutliche gemeinsame Wurzeln haben: Den Aspekt der Forschung und eine grundlegende Absicht – einen Plan. Selbstverständlich liegt es mir fern zu behaupten, dass ein schöpferisches Werk nur dann als Kunst bezeichnet werden kann, wenn es auf einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Materie beruht, Günter Walters Arbeit existiert jedoch im deutlichen Bewusstsein der Konkreten Kunst, deren Grundlage analytischer, intellektueller Natur ist. Man kommt zu recht nicht umhin, an dieser Stelle den Begründer der Konkreten Kunst, Theo van Doesburg zu zitieren, der in seinem Manifest „Die Grundlage der konkreten Malerei“ aus dem Jahre 1930 schreibt: „Mit unserer Konstruktion der geistigen Form hebt die Epoche der reinen Malerei an. Sie ist die Konkretisierung des schöpferischen Geistes. Konkrete Malerei, nicht abstrakte, weil nichts konkreter, nichts wirklicher ist als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche. (...)“ und ferner „In der Malerei ist nichts wahr außer der Farbe. Die Farbe ist eine konstante Energie, sie bestimmt sich durch den Gegensatz zu einer anderen Farbe. Die Farbe ist die Grundsubstanz der Malerei; sie bedeutet nichts als sich selbst. Die Malerei ist ein Mittel, um Gedanken visuell zu verwirklichen: Jedes Bild ist ein Farbgedanke. (...)“
Günter Walter zeigt in seiner Arbeit auf, wie aktuell diese Ansätze gegenwärtig noch immer sind. „Organisation“ ist hier ein weiteres Schlagwort, auf Walters Arbeitsprozess ebenso bezugnehmend, wie werkimmanent: Der Künstler hat einen Plan. Ein klares, strukturiertes Konzept für jede einzelne seiner Zeichnungen erarbeitet Günter Walter, lange bevor ein Farb- oder Bleistift das ausgewählte, zur jeweiligen Absicht passende Papierformat berührt. Seine Skizzen nähern sich auf den ersten Blick eher mathematischen Gleichungen und geometrischen Reihen an, als der allgemeinen Vorstellung von Studien eines Zeichners. Und dennoch könnten sie nicht näher an deren Wesen sein: Günter Walter erforscht die Linie als Grundprinzip, als ursprüngliches Mittel der Zeichnung und grundlegendes Element der Malerei. Er berechnet und nummeriert Winkel, bildet Zahlenreihen und greift seit einigen Jahren bei Aufteilung und Proportionierung der Bildflächen, der Festlegung der Farbfolgen und Linienrhythmen des jeweiligen Blattes zu einem außerordentlich effektiven Mittel des gelenkten Zufalls: dem Würfel. „Ich setze mir gewisse Regeln, an die ich mich halte“, sagt Günter Walter, doch ist ihm die Komposition, das Funktionieren des Gesamtkonstrukts stets wichtiger als das Theorem.
Mag unser Auge vielleicht zunächst einem einzelnen Strich eines Stiftes folgen, gerät es schnell in den Sog der in unserer Wahrnehmung entstehenden Farbadditionen und -mischungen, der Linien, die sich nur in dieser berühren und wird nicht zuletzt durch die von Günter Walter in ihrer ganzen Bandbreite genutzten Helldunkel-, Komplementär- und Simultankontraste, um nur einige zu nennen, im Bild gehalten. Die noch immer verbreitete Bezeichnung von Schwarz und Weiß, und somit natürlich auch Grau, als „Nichtfarben“, die in der Bildenden Kunst schon immer höchst fraglich war, erscheint vor einer solchen Arbeit geradezu lächerlich.
Auch den Stellenwert einer gewissen subjektiven Komponente, die Untersuchung des Handgemachten in Bezug zum maschinell Erstellten thematisiert Günter Walter. Der innerhalb der konkreten Kunst geforderten technischen Perfektion, dem Unterordnen des Persönlichen und dem Ablehnen von Ungenauigkeit und Unvollständigkeit – „Wenn man eine gerade Linie nicht mit der Hand zeichnen kann, nimmt man dazu ein Lineal. (...)“ [van Doesburg] – setzt der Künstler subtile Linienmodulationen und Helldunkelnuancierungen entgegen, die spürbar werden lassen, dass nichts die Hand des Zeichners, die den Stift, ebenso wie das Lineal führt, zu ersetzen vermag.